Heute hören wir den zweiten Teil des Interviews mit Dr. Birgit Schwagerick. Gibt es eine Art Keimfreiheit in der Kalkstroh-Matratze und anderen Strohvarianten?
Falls du den 1. Teil vom Interview noch nicht gehört hast, klicke hier. Der Inhalt baut aufeinander auf. Ich empfehle dir das Anhören der Folge, der Artikel ist leicht gekürzt.
In Liegeboxen landen häufig Stroh oder Kombinationen mit Stroh eingestreut. Ist das optisch ansprechende goldgelbe Stroh auch hygienisch so ansprechend?
Stroh kann mikrobiologisch von unterschiedlicher Qualität sein. Weizenstroh kann wunderschön aussehen, trotzdem mit Fusarium durchseucht sein. Staubbelastetes Stroh, das etwas komisch riecht, ist mitunter mit Schimmelpilzen belastet. Es kann aber auch schönes, einwandfreies Stroh sein. Da sind Welten dazwischen. Ich würde immer an erster Stelle Gerstenstroh verwenden und danach Weizen. Rapsstroh ist zu hart. Dann kommt es darauf an, wie mein Stroh vom Acker gekommen ist und wie es gelagert wurde. Gesundes Stroh ist ein tolles Material und Träger von vielen guten Mikroorganismen.
Mit jedem Schritt der Kuh in die Liegebox kommt Kot mit in die Liegebox. Ist auf der Oberfläche der Liegebox das Erregerspektrum wieder ähnlich zu anderen Materialien?
Es kommt darauf an, was darauf wächst und welche Keime in welchen Mengen vorhanden sind. Wenn ich gesundes Stroh habe mit vielen Milchsäurebakterien und bestimmten Erdbakterien, kann auch Kot mit unguten Zusammensetzungen nichts ausmachen. Am besten ist die Kuh mit einer gesunden Mischung an Mikroorganismen dran. Stroh ist keinesfalls keimfrei oder keimarm. Im besten Fall ist es ein keimreiches und weniger nährstoffreiches Material als Güllefeststoff. Es kommt drauf an, welche Keime drin sind.
Man kann auch Mist einstreuen, vielleicht Mist von Kälbern, den Abkalbeboxen oder den Pferdemist vom Nachbarn. Kommt es hier auf die Mikrobiom- Zusammensetzung an, die bei den Kälbern vorher, im Abkalbe- oder Pferdestall entstanden ist?
Ja, es ist immer die Frage, welche Truppe das Sagen hat. Haben wir eher ein Afghanistan oder ein Norwegen. Egal, ob wir Mist, Stroh oder Separat verwenden, es ist entscheidend, welche Gesellschaft darin wohnt. Wir wissen alle, dass Kälbermist nicht unbedingt von gesunden Kälbern stammen muss. Wenn die Kälber vor Gesundheit strotzen und ich keinen Durchfall bei ihnen kenne, warum nicht? Sobald man eine Durchfallproblematik im Kälberstall hat, hat dieses Einstreu nichts in den Liegeboxen verloren.
Noch schwieriger ist der Mist aus der Abkalbebox. Davon würde ich generell abraten. Pferdemist ist abhängig von den Pferden, die ihn produziert haben. Pferde aus dem Hobbybereich, die sparsam gefüttert werden und selten Probleme mit Koliken haben, kommen in Frage als Mistlieferanten. Dieser Mist passt meistens, kann auch vorsichtshalber beispielsweise bei Miprolab untersucht werden.
Eine Kalk-Stroh-Mischung wird als sehr hygienisch angesehen. Ist das Gemisch wirklich so keimarm wie sein Ruf?
Nein. Das ist ein Trugschluss. Was heißt Hygiene? Das Wort stammt von Hygeia, der griechischen Göttin der Gesundheit. Nicht der Keimfreiheit. Hygiene heißt nicht keimfrei, Hygiene heißt Gesunderhaltung. Wir sind von den Mikroorganismen abhängig. Gesund heißt auch: Wir leben in einer guten Gemeinschaft, einer Symbiose, eine friedlichen Koexistenz mit den Mikroorganismen. Es gibt so gut wie keine keimfreie Oberfläche. Wenn wir denken, wir haben sterile Oberflächen, dann haben wir bloß nicht richtig nachgeschaut.
Wir müssen immer davon ausgehen, dass auch ein Kalk-Stroh-Gemisch stark mit Keimen belastet ist. Natürlich sind im Vergleich zum Separat viel weniger Keime darin.
Wenn bei jemanden Güllefeststoff als Einstreu nicht funktioniert, weil vielleicht einige schlechte Faktoren zusammenspielen, würde ich ein Kalk-Stroh-Gemisch empfehlen. Es ist einfach ganz anders in der Zusammensetzung der vorhandenen Keime. Es ist eher günstiger als im Separat. Man macht dadurch einen Cut im System.
Bei Problemen mit Klebsiellen hat sich dieses Vorgehen bewährt. Wenn Klebsiellen die Oberhand haben, sind diese nur schwer zu “vertreiben”. Mit der Änderung zu Kalk-Stroh schafft man es relativ gut. Es kommt da alles raus aus der Liegebox und Kalk-Stroh rein.
Ist eine Rückumstellung möglich, wenn man von Güllefeststoff zu Kalk-Stroh als Einstreu gewechselt hat?
Da würde ich erst die Kühe untersuchen, weil Klebsiellen auch aus dem Darm kommen. Hier ist wichtig, dass sich die Darmgesundheit wieder eingespielt hat. Für 1 bis 2 Jahre sollte Kalk-Stroh genutzt werden..
Für eine Untersuchung würde ich eine Mischprobe von etwa 10 % der Herde und durchschnittlichen Kühen nehmen. Es geht vom abgesetzten Kot oder auch vom Darm.
Wie sehen akute Mastitiden bei einer Infektion mit Klebsiellen aus?
Klebsiellen sind nach den Mykoplasmen die aggressivsten Mastitiserreger und von diesen die tödlichsten Erreger. Sie machen nicht nur eine Euterentzündung, sondern töten innerhalb von Stunden. Bei diesem Problem braucht es einen Cut auf ein anderes Einstreumaterial, sonst wird man die Klebsiellen nicht los. Sie kommen wellenförmig, wenn eine Welle kommt, sind sie wirklich bösartig.
Sind Hochboxen für die Eutergesundheit im Vorteil?
Glatte Oberflächen können ihren Biofilm schnell wechseln. Ich schütte eine Kanne Alkohol darüber und die Oberfläche ist steril. Wische ich einmal mit meiner Hand darüber, ist die Oberfläche komplett verkeimt. Eine Gummimatte wird wie auch jede Tiefbox verschmutzt. Hier entwickelt sich ein eigenes Mikrobiom, welches sich schnell ändern kann. Grundsätzlich kann man eine Gummimatte leichter beeinflussen. Über eine tägliche Routine mit beispielsweise EM´s oder Kalk drüber kann man die Zusammensetzung der Keime steuern. Man beachte allerdings: Gelenkschonend sind sie nicht. Mindestens hat man Abschürfungen, die dann Eintrittspforten für Keime sind.
Den Komfort einer Tiefbox kann keine Gummimatte bieten. Das sehe ich als Nachteil. Das Problem ist auch, wenn eine Kuh Milch laufen lässt. In einer Tiefbox bleibt das stabile und im besten Fall günstige Mikrobiom einfach erhalten. Auf einer Gummimatte habe ich auch immer Keime versteckt, die auf die Milch reagieren. Diese explodieren förmlich.
Angenommen du kannst für deine Milchkühe einen neuen Stall bauen. Welche Liegeboxenart kommt da rein mit welchem Einstreu?
Ich würde Tiefboxen mit Stroh-Kalk-Gemisch nehmen. Gesundes Stroh als Ausgangsmaterial hat von Natur aus ein gesundes Mikrobiom. Kalk würde ich nehmen, um einen Trocknungseffekt zu erreichen. Da würde ich auch auf Gesteinsmehl setzen, es hilft meinem gesunden Mikrobiom ein Zuhause zu bauen. Vielleicht würde ich ganz unten zur Matratzenbildung Pferdemist verwenden.
Was möchtest du unseren Lesern zur Entscheidung zu Liegeboxen oder auch für die bestehende Liegebox mitgeben?
Als Grundsatz müssen immer mehr Liegeboxen als Kühe im Stall vorhanden sein. Ich würde auf flexible Liegeboxenabtrennungen achten. So können sich die Kühe möglichst frei bewegen und werden beim Aufstehen und Ablegen nicht behindert. Ich würde sie tief genug bauen, um eine stabile Matratze zu bekommen. Die Kotkante soll so hoch sein, dass keine Kühe nur zur Hälfte in der Liegebox liegen. Also mindestens 20 cm und sie kann bis zu 30 oder auch mal 40 cm hoch sein.
Wollt ihr mehr zu diesen Themen erfahren? Dann kontaktiert einfach Fr. Dr. Schwagerick persönlich und hört weitere spannende Infos zu Liegeboxen, deren Einstreu und vieles mehr!
Kontakt zu Dr. Birgit Schwagerick:
0171 8179607